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AutorenbildKerstin

Die andere Art, vor Boje zu liegen

Wir gleiten also über das dunkelblaue Glitzerwasser auf die Saurierrücken ähnelnden Inselformationen zu. Nicht alle können wir auf Anhieb identifizieren. Im Pastelldunst sind sie teils nur schemenhaft zu erkennen, aber zweifellos schippern wir an Ilovik vorbei, lassen Silba links liegen und machen bald den Kirchturm des kleinen Örtchens Premuda auf der gleichnamigen Insel aus. Unser Tagesziel soll ein Bojenfeld im Süden von Ist sein, aber wir möchten uns vorher Premuda als

Alternative noch anschauen. Dort lagen wir vor vielen Jahren einmal bei nächtlicher Bora vor Boje, was wir als ziemlich ungemütlich in Erinnerung haben. Damals gab es bereits eine Bootshakengeschichte: beim Bojenmanöver ging derselbe über Bord, woraufhin unsere damals etwa 12jährige Tochter über die Reling hüpfte, um ihn zu retten. Da wir im Manöver waren, konnten wir das Kind nicht sofort wieder an Bord holen, sondern mussten sie auffordern, ans gegenüberliegende Ufer zu schwimmen und dort zu warten, bis wir sie mit dem Dinghi aufgabeln würden. Ich erinnere mich nur, dass das ganz schön lange gedauert hat und die Arme recht durchgefroren war, bis wir kamen! Der Bootshaken hat es, glaube ich, nicht geschafft und gehört zu den gesammelten Werken, die wir bisher auf dem kroatischen Meeresgrund hinterlassen haben.

Nun wollen wir Premuda eine zweite Chance geben, denn die Kulisse dort ist eigentlich sehr schön. Man liegt in einem breiten Kanal zwischen mehreren vorgelagerten flachen Inselchen im Westen und der Hauptinsel mit Blick auf die Häuschen. Beim Einbiegen in den Kanal um die Mittagszeit zeigt sich, dass nur wenige Boote da sind. Die Windvorhersage verspricht ruhige Verhältnisse für die Nacht, so dass wir kurz entschlossen eine der zahlreichen freien Bojen fischen wollen und nicht nach Ist weiterfahren werden. Das Bojenfeld ist eng, Ruby fährt Slalom. Wir diskutieren Details des Manövers (die Boje neben der Najad oder doch die neben der Grand Soleil? Eine oder zwei Leinen?), als der Skipper plötzlich verstummt. Bleib du am Steuer, befiehlt er, aber im Leerlauf bleiben! Und verschwindet wortlos unter Deck, kommt mit seiner antiken Taucherbrille und seinen ebenfalls 35 Jahre alten Flossen bewaffnet zurück und ruft mir beim Sprung ins Wasser etwas wie " wüü ham die Boie üafaaahn", was ohne Schnorchel im Mund wohl "wir haben die Boje überfahren" heissen muss. Die überfahrene Boje hängt jetzt in unserer Schraube und Ruby damit fest. So ein Mist. Jetzt kommt es darauf an, ob sich die Leine in der Schraube verfangen hat oder nur locker drumliegt. Im ersteren Fall müssten wir wohl das lokale Taucherkommando bemühen, um uns befreien zu lassen, im letzteren haben wir auch ohne Hilfe eine Chance. "Iff gaub eff deht!" prustet der Skipper nach seinem ersten Inspektionstauchgang. Anscheinend hat sich die ganze Boje verklemmt, die Leine ist glücklicherweise nicht drumgewickelt, da Stephan geistesgegenwärtig sofort in den Leerlauf geschaltet hatte. Die Aktion ist trotzdem anspruchsvoll, da im Kanal eine unglaublich starke Strömung herrscht, die das Arbeiten unter Wasser zusätzlich erschwert. Doch Stephans Beiname wäre nicht "Held", wenn er nicht auch dieser Herausforderung gewachsen gewesen wäre. Nach kürzester Zeit ist Ruby wieder frei, und das Beste ist: wahrscheinlich hat niemand unser Missgeschick mitbekommen.

Zum Abreagieren drehen wir noch ein, zwei Runden und steuern dann die Boje unserer Wahl an. Um es kurz zu machen: 1. Anlauf misslungen, da wegen der Strömung zu viel Zug auf dem Bootshaken ist und, wie unsere Leser*innen wissen, sind derer schon zu viele verlustig gegangen, als dass ich nochmal ein Risiko eingehen will. Ich lasse also die Boje sausen und nicht den Haken. 2. Anlauf verkackt, da ich laut Skipper nicht gescheit angezeigt habe, wo die Boje ist. Gemäss Stephan muss ich in einer Hand den Bootshaken, in der anderen Hand die Festmacherleine halten, gleichzeitig nach vorne schauen, wo die Boje sich befindet und nach hinten, um mit dem Skipper Blickkontakt zu halten, und mit der dritten Hand soll ich ihm Zeichen geben, wie weit die Boje noch entfernt ist. Auf wundersame Weise gelingt mir das beim 3. Versuch, und wir liegen endlich vor Boje, und diesmal ist die Boje vor, nicht unter dem Boot. Darauf ein kaltes Bier.

Während wir unter unserem improvisierten Schattendach chillen, füllt sich nach und nach die Bucht. Einige Worte zum Schattendach: ich pflegte regelmässig neidisch auf die Nachbarboote zu blicken, die mit so coolen massgeschneiderten Gadgets aufwarten wie an Sprayhood und Bimini anknüpfbare Sonnensegel, natürlich stylisch abgestimmt auf das Farbkonzept von Persenning und Co. Wir hingegen versuchen seit Jahren, uns mithilfe von mit Wäscheklammern an die Haltebänder der Bimini geclippten Handtüchern gegen zu intensive Sonneneinstrahlung zu schützen. Diese Konstruktionen überleben meist nur 5 Minuten, da Handtuch zu schwer für Wäscheklammer oder zu viel Wind für beides.

Inzwischen bewährt sich aber der Einsatz unseres grasgrünen, nach Fisch riechenden Treibankers bestens zur Erzeugung von Schatten. Er kann flexibel in allen erdenklichen Positionen befestigt werden und trotzt auch stärkeren Windböen. An den Geruch im Cockpit gewöhnt man sich, und ob die Nachbarn mit den eleganten Markisen finden, dass es Scheisse aussieht, kann uns doch egal sein. Wir finden, unserem alten Schiff steht sein alter grüner Treibanker super.

Zurück zu Premuda: ein Boot nach dem anderen trudelt ein, die meisten aus Süden und fast alles Italiener. Wir beobachten (ins Fäustchen lachend) diverse glücklose Bojenmanöver und daraus resultierende Ehekrisen. Zwischendurch praktizieren wir Strömungsschwimmen im fast 30 Grad warmen Wasser. Plötzlich scheint sich der Himmel über uns zu verdunkeln, aber die vermeintliche Gewitterwolke entpuppt sich als riesige italienische Motoryacht, die eine benachbarte Boje anzusteuern versucht. Deren Skipper manövriert das Ungetüm mittels Joystick auf dem Vorschiff stehend. Seine Bikinischönheiten hinten auf der Badeplattform geben sich eher unbeteiligt und bekommen ebensowenig wie der Kapitän mit, dass die Strömung ihr Schiff immer näher auf Ruby treiben lässt. Stephan, stets misstrauischen Auges bei allen Geschehnissen rund um unser Boot, springt zum zweiten Mal am heutigen Tag auf und schreit aus vollem Hals "Heeeeyyy!", und weil er diesmal keinen Schnorchel im Mund hat, können die Bikinidamen ihn trotz Sprachbarriere gut verstehen und ihren Käptn im letzten Moment dazu bringen, auch mal nach hinten zu schauen und die Kollision gerade noch zu verhindern. Es fehlte vielleicht ein Meter bis zum Rumms.

Ermattet von all der Aufregung können wir uns nur noch zu ein paar Käsebroten aufraffen und bleiben am Abend an Bord, während wir das bunte Treiben von umherschnurrenden Dinghis beobachten und uns von Italopop aus den umliegenden Booten einlullen lassen.

Ach ja, wir könnten gar keinen Landgang machen, auch wenn wir wollten, denn unser Dinghi ist leider irreparabel platt. Zur Müllentsorgung müssen wir den Bojenabkassierer bezirzen, der extra heimlich bei Dunkelheit noch einmal vorbeikommt, um unseren Abfall mitzunehmen. Normalerweise müssen die Crews das selbst erledigen. Hvala lijepa!


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