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AutorenbildKerstin

Ein Bootshaken für Neptun

Mit einem Becher Morgenkaffee in der Hand lassen wir den Blick über das nahezu unbewegte Meer mit der Insel Losinj im Hintergrund schweifen. Die Sonne hat schon ein wenig Kraft, wir sitzen ohne Jacke im Cockpit. Die Wind-Apps behaupten Flaute, aber unser Verklicker und auch das sensible Segler-Sinnesorgan zwischen den Ohren nimmt bald eindeutige Luftbewegungen wahr. Wir machen uns und Ruby bereit zum Losfahren. Das Tagesziel heisst Ustrine, also keine sonderlich lange Etappe, die wir zu bewältigen haben. Wir möchten möglichst viel segeln und dann noch im Hellen den Anker werfen.

Bereits in der Ausfahrt aus der Bucht umspielt uns ein leichter, aber stetiger Nordwestwind. Wir können mit vollem Tuch Richtung Kap Osor gleiten, was für ein Vergnügen! Die Windrichtung wechselt gegen Mittag zunehmend auf West, was uns ausgezeichnet passt, um unser Ziel auf direktem Weg, also ohne Wende oder Halse, zu erreichen. Ruby macht ordentlich Fahrt mit ihrem neuen Segel. Doch dann: Boje über Bord! Stephan unterbricht den perfekten Flow mit einem Manövertraining. Wieder einmal hat er unseren dicken Kugelfender ins Wasser geworfen, der nun zwischen den Wellen schaukelt und auf Rettung wartet. Der Käptn selbst ist am Ruder und leitet sofort das Hamburger Manöver ein. Mit back stehender Genua driften wir präzise zum über Bord Gegangenen, den ich mit dem Bootshaken problemlos aus dem Wasser fische. Manöver auf Anhieb gelungen. Der Bootshaken ist übrigens neu und kommt bei dieser Aktion erstmals zum Einsatz.

Ich darf nun ebenfalls mal ans Steuer und schaffe es auch beim ersten Versuch, den Fender so anzusteuern, dass Stephan ihn bergen kann. Was sind wir doch für eine geniale Crew!

Aber zu früh gefreut. Der Skipper ist noch nicht zufrieden. Er möchte die ganze Operation nochmal mit einer Q-Wende versuchen. So lernt man ein MOB-Manöver in der Bootsschule. Meine Opposition ist zwecklos. Notiz am Rande: ich finde Q-Wenden, ähnlich wie Istrien, blöd. Insbesondere, wenn es um Fenderrettung geht. Das einzige, was mir keine Probleme bereitet, ist das erste Kommando: neuer Kurs Halbwind. Aber dann geht es schon los. Wie lang sind zwei Bootslängen? So lange muss man nämlich auf Halbwindkurs geradeaus segeln. Vom Verunfallten weg, erstmal. Ich kann das nicht abschätzen. Dann muss man eine Q-Wende fahren, also bei einer 2er-Crew auch noch alleine die Genua rüberholen und schliesslich vor dem Ertrinkenden in den Wind schiessen. Alles klar?! Mein Enthusiasmus hält sich also bei der Q-Wenden-Ansage in Grenzen. Der Skipper besteht drauf, will aber das Manöver selbst fahren. Ich grummele in mich hinein und werde daraufhin vom hoch konzentrierten Skipper (der Fender kämpft da bereits in den Fluten ums Überleben) des Cockpits verwiesen. Stephan benötige Platz, und ich solle mich schon mal mit dem Bootshaken (neu!) aufs Vorschiff begeben, wo ich in Kürze an Backbord den Ertrinkenden aufnehmen müsse. Für meinen rudimentären Sachverstand sieht das Manöver schon im Ansatz verkackt aus (DAS waren NIEMALS 2 Bootslängen!), aber ich sage mal lieber nichts. Als Ruby gerade dabei ist, mit Karacho den Fender zu überfahren, höre ich den Befehl: "Nicht an Backbord! An Steuerbord aufnehmen!!" Beim verzweifelten Versuch, die Bootsseite in 2 Millisekunden zu wechseln (Randnotiz: der Fender ist bereits tot, da überfahren), peitschen mir die ausser Rand und Band geratenen Genuaschoten ins Gesicht. Jetzt gilt es, in erster Linie MEIN Leben in Sicherheit zu bringen. Reflexartig reisse ich die Arme schützend vor mein Gesicht. Platsch, macht es. Und blubb-blubb-blubb. Das Manövertraining fordert sein Opfer. Der Bootshaken (neu!!!) versinkt in den Fluten, möge Neptun etwas mit ihm anfangen können.

Mein Gesicht ist heil geblieben, der Skipper flucht noch eine Weile. Ob wegen des verlustig gegangenen Bootshakens oder vielmehr wegen des, mit Verlaub, nicht ganz so gelungenen Manövers, sei der Interpretation der Leser*innen überlassen.

Den Fender, er hat wundersamerweise überlebt, holen wir im Anschluss mit einem easy-peasy-Hamburger Manöver wieder an Bord (mit unserem alten Bootshaken). Fortsetzung der Fahrt zunächst schweigend.

Erst bei Ansteuerung der Ustrine -Bucht hebt sich die Stimmung wieder. Der Skipper kredenzt Maultaschen, der Sternenhimmel ist unglaublich, und vor dem Schlafengehen fragen wir uns gegenseitig kroatische Vokabeln ab.

Vrlo lijepo!


43 Ansichten3 Kommentare

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3 Comments


eberhardvonputtkamer
eberhardvonputtkamer
Feb 16, 2024

Mal wieder herrlich geschrieben. Ich habe Stephan bildlich vor mir gesehen!

Ich habe zwar keinerlei Ahnung was Genua, etc ist, aber das macht garnichts.

Noch eine schöne Zeit.

Liebe Grüße

Eberhard

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Kerstin
Kerstin
Feb 16, 2024

Inzwischen können wir auch drüber lachen 🤣

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19hwi39
19hwi39
Feb 16, 2024

Ein Takeltalk zum Schmunzeln, toll !!

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