Ein paar seltene Koinzidenzen führen dazu, dass wir seit langem wieder einmal eine Ausfahrt mit unserer Brendanus machen können. Erstens: wir haben beide am Wochenende keine anderen Pläne. Zweitens: Wetter- und Windvorhersage für ebendieses Wochenende in Genua sind vielversprechend (kein Regen, vernünftiger Wind). Drittens: Brendanus ist ready to sail, weil Stephan kürzlich nach dem rechten gesehen hat und ein Wochenende lang die Kajütenwände entschimmelt hat. Das feuchte Wetter hat dafür gesorgt, dass Pilze gewachsen sind. Hausmännertipp: können nachhaltig beseitigt werden mit Spiritus.
Die Katzensitterin wird beauftragt, und wir bepacken unser neues Auto mit den üblichen Utensilien (gepäcktechnisch kein Unterschied zwischen einer 3-Tages- und einer 3-Wochen-Reise). Das Ganze hat ein wenig Testcharakter, da wir ausfindig machen möchten, wie es um die Ladeinfrastruktur für unser Elektromobil in Italien bestellt ist. (Einschub: entsprechende Erfahrungen in der Schweiz und in Deutschland ergaben bisher eine 50:50 Trefferquote bezüglich funktionstüchtiger Ladesäulen bzw. erfolgreicher Ladevorgänge). Stephan weiss von seiner letzten Fahrt nach Genua, wo passende Schnelllader zu finden sind, also machen wir uns zuversichtlich auf den Weg.
Wir fühlen uns sozusagen als Klimaaktivisten, fahren wir doch emissionsfrei auf europäischen Autobahnen herum, um am Bestimmungsort emissionsfrei auf europäischen Meeren zu schippern. Unsere noch ungeborenen Enkel werden es uns danken.
Jedoch: die Zero-Abgas-Aktion verlangt Fahrer und Beifahrerin maximale Fähigkeiten ab. Auf der Eins: Fähigkeit, sich in einen Stein zu verwandeln. In diesem Fall: Ganz. Ruhig. Bleiben. Bloss. Nicht. Ausrasten. Denn so ein Fahrzeug, so ein elektrisches, das konkurriert mit seinem Fahrer um die Autonomie. Autonomes Fahren gibt es ja noch nicht, aber die Emobile sind halt trotzdem so drauf, dass sie dem Fahrer (oder der Fahrerin) ständig reinschwätzen. Und weil sie nicht sprechen können, machen sie das mit Geräuschen. Hochgradig nervigen Geräuschen. Und das geht so: Man steigt ein, drückt auf den Startknopf, und etwas, das man nicht hört, startet. Ist ja elektrisch, der Motor, hat daher keinen Motorsound. Stattdessen macht es Dingdongdingdongdingdong, aber keiner weiss warum. Bei jedem Motorstart erscheint im Display übrigens irgendein Text, dessen Inhalt man akzeptieren muss. Anderenfalls macht das Auto düdeldüddüüü in markerschütternder Frequenz, bis man auf dem Touchscreen den Akzeptieren-Button berührt hat. Ob man will oder nicht. Eigentlich akzeptiere ich nichts, was mir mit nervtötendem Gedudel aufoktroyiert wird. Aber ich muss. Sonst: düdeldüdeldüüü in Endlosschleife.
Gut, wir haben wasauchimmer akzeptiert. Rollen lautlos aus der Tiefgarage. Leider ist die
Ausfahrt etwas schmal, daher macht das Auto Piiiieeeep, während es die Schranke passiert. Es hat nämlich ganz viele tolle Sensoren ringsherum, so dass es immer genau weiss, was vor, hinter, neben und über ihm gerade abgeht. Das teilt es uns ungefragt im Minutenabstand mit. An der Ampel fahren wir nahe auf das Fahrzeug vor uns auf. Unser Auto findet das übergriffig und macht einen Dauerton: Mööööp. Den macht es, bis die Ampel auf Grün schaltet und der Verkehr wieder fliesst. Ich sinke schon etwas tiefer in meinen auf meine individuellen Körpermasse eingestellten Beifahrersitz und aktiviere mein inneres Ommmm, sage aber noch nichts. Stephan ist doch so stolz, sich bei dem jahrelangen zähen Ringen um die Anschaffung eines Elektroautos endlich durchgesetzt zu haben. Wir fahren in Richtung Autobahn. Doch plötzlich: dingding, dingding. Nur zweimal, geradezu dezent und zurückhaltend. Was ist denn nun schon wieder, frage ich meinen Mann. Ich bin 52 statt 50 gefahren, antwortet Stephan achselzuckend. Er (der beseelte Neuwagen) meldet eben, wenn man die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet. Hmpf, mache ich, die häufig welchsenden Tempolimite in den Baustellenbereichen der italienischen Autobahnen antizipierend.
Während der 5 Minuten bis zur Autobahnauffahrt passiert - nichts. Das Auto schweigt. Stephan bringt ein spannendes Gesprächsthema auf: die Entschleunigung des Reisens, da man sich ja während des Ladevorgangs unterschiedlicher Dauer eine Beschäftigung suchen muss. Hat man das Glück, eine funktionstüchtige Schnellladesäule zu ergattern, reicht die Zeit entweder für einen Toilettengang mit anschliessendem Erwerb eines Kaltgetränks oder für den Verzehr einer Currywurst. Die gibts in Italien nicht, murmle ich in meinen Bart und suche fieberhaft nach sinnerfüllten Aktivitäten in der charmanten Umgebung einer Autobahnraststätte. Sollte es sich um einen Normallader handeln, dann kann man überlegen,entweder die Nacht im Auto zu verbringen oder ungefährt jede Stunde für 40 Minuten um 5% aufladen zu gehen. Im Winter, so habe ich mir sagen lassen, müsse man mit ein wenig mehr Ladezeit rechnen.
Man muss einfach anders planen, rechtzeitig losfahren und so, höre ich Stephan argumentieren. Gut, heute haben wir wirklich keinen Terminstress und können uns treiben lassen. Stephan lässt sich von mir ein Sandwich reichen und beginnt zu frühstücken. Eine Hand am Steuer, eine Hand am Brötchen. Tempo 80 km/h, wir befinden uns ja auf einer Schweizer Autobahn. Kein Problem, sollte man meinen. Unser Auto allerdings sieht das anders. Düdüp, düdüp, sagt es und lässt in warnender Neonschrift aufleuchten: Nehmen Sie die Hände nicht vom Lenkrad!!! Es handelt sich nur um eine Hand, du Dulli, echauffiere ich mich kurz, aber heftig. Das Auto kennt kein Erbarmen, es ist erst zufrieden, als Stephan seine Semmel zwischen die Lippen klemmt und mit beiden Händen das Lenkrad umfasst. Unnötig zu erwähnen, dass sich dieser Vorgang während der 4stündigen Fahrt noch 5?8?12?Mal wiederholt.
Danach folgt ein schneller Spurwechsel, damit wir uns links in den fliessenden Verkehr einordnen können. Das Auto reklamiert: döppdödöppdödödödopp. Da wir gerade ein Wohnmobil aus Holland überholen, versuche ich es mit Galgenhumor und singe mit: nar rechts, nar links, döppdödöppdödö.....
Ich glaube, Stephan findet es langsam nicht mehr ganz so witzig. Der Spurhalteassistent motzt ihn ständig an, er solle mal keine Schlangenlinien fahren.
Wir sind seit 2 Stunden unterwegs und reden nur über das Auto und wie es nervt. Obwohl, bequem ist es schon, und man fühlt sich doch super, wegen keine Emissionen und so. Andererseits ist es echt blöd, dass es in der Marina Genova keine Ladestation gibt. Es gibt aber eine am Flughafen. Da könnten wir, schlägt Stephan vor, das Auto hinbringen und über Nacht anschliessen (kein Schnellader...), zu Fuss durchs Industriegebiet zurück zur Marina gehen und am nächsten Morgen das Ganze andersrum.
Nein, sage ich resolut, dann will ich lieber kurz vor Genua an der Autobahn nochmal aufladen und für die Rückfahrt erst mal keinen Ladestress haben (dieses Wort kommt für mich als Wort des Jahres 2024 in die engere Auswahl). Ok, sagt mein Mann, dann fahren wir an der nächsten Raststätte raus, da gibt es Schnelllader.
Um es kurz zu machen: es gibt Schnelllader. Alle 3 funktionieren nicht. Das stellen wir fest, nachdem wir mehrere Ladekabel mit verschiedenen Säulen verbunden und wahlweise mit Apps oder einer Kundenkarte zu aktivieren versucht haben. 50 Meter weiter verzehren mehrere Teslafahrer während ihrer Turboladewartezeit entspannt eine Currywurst. Wir machen eine normale Pause mit Toilettengang und Kaltgetränk, geladen haben wir aber nicht.
Weiter also gehts. Wir haben ja noch reichlich Akku, und Stephan weiss, wo die nächste Lademöglichkeit kommt. Kaum sind wir wieder auf die Autobahn aufgefahren, schlägt unser ADHS-Auto bimmelnd und düdelnd allen Ernstes vor, wir mögen doch überlegen, eine Pause einzulegen!!!
Hin- und hergerissen zwischen Schreikrampf und Resignation entscheide ich mich für letzteres. Zu allem Übel fängt es auch noch wie aus Kübeln an zu schütten. Stephan erwähnt, dass Ladestationen im Unterschied zu herkömmlichen Tankstellen nicht überdacht seien und befürchtet durchweicht zu werden, während er an der noch aufzuspürenden Ladesäule nach der passenden App sucht.
Ich antworte nicht. Vor der nächsten Raststätte ein Schild mit italienischem Text, den wir als "Raststätte ausser Betrieb" interpretieren.
28 km später rollen wir verkehrt in eine Einbahnstrasse an einer unsympathischen und dreckigen Raststätte irgendwo in den ligurischen Hügeln und erreichen eine funktionierende Ladesäule zeitgleich mit einem österreichischen Familienvater, der uns mit Schweiss auf der Stirn und Tränen in den Augen anfleht, die Säule als erster benutzen zu dürfen. Er habe nur noch 7% Akku, da alle Stationen defekt, geschlossen.... Jaja, sage ich, ist schon gut. Wir gehen derweil eine Currywurst essen.
Ihr Lieben!
Es macht immer wieder Spass Eure neuesten Abenteuer zu lesen! Sorry, ich habe Tränen gelacht-ich habe Kerstin soooo deutlich vor mir gesehen (Stephan natürlich auch)- obwohl es für Euch nicht so lustig war😉
Wir denken, Eure Rücktour erzählt Ihr uns -hoffentlich bald - dann auf Cres in Eurem oder unserem Cockpit!
Wir drücken Euch, ganz liebe Grüße aus dem Norden
Tina&Thorsten