Kap Hoorn - der Wunschtraum eines jeden Seglers. Oder Alptraum? Was für Geschichten und Mythen ranken sich nicht alle um dieses südlichste Kap Südamerikas. Grösster Schiffsfriedhof der Welt. Mehr als 800 Schiffen und 10.000 Menschen soll Kap Hoorn zum Verhängnis geworden sein. Wer es jedoch erfolgreich umrundet, darf sich als Tattoo ein Segelschiff stechen lassen, in jeder Seemannskneipe der Welt Freibier trinken oder gegen den Wind pinkeln! Aber was kommt vor dem berühmten Kap? Richtig: die Durchquerung der Drake-Passage (2. Teil)...
Nachdem unser Schiff sturmfest vorbereitet ist, verlassen wir die wunderschönen Melchior-Inseln etwas früher als geplant, weil Skipper Henk ein günstiges Wetterfenster ausgemacht hat. Zunächst erwarten wir nicht zu starken Wind aus östlicher Richtung, der uns einen Tag lang auf die Drake hinaus bringen wird. Dann soll uns ein Tiefdruckgebiet treffen ("mit tieferem Druck als das Barometer anzeigen kann ...."), auf dessen Rücken ein Hoch mit auf West/Südwest drehenden Winden uns in Rauschefahrt Richtung Kap Hoorn schieben soll. Und tatsächlich, wir laufen bei schönstem Sonnenschein und moderatem Wind aus der Ankerbucht Richtung Drake-Passage aus. Die Blicke aller wandern immer wieder über das Heck unserer guten Sarah zurück Richtung antarktisches Eis. Es ist recht ruhig an Bord. Jeder macht sich so seine Gedanken über die zurückliegenden Tage und Wochen. Wehmut kommt auf. Bei sehr guter Sicht haben wir noch bis in den Nachmittag hinein die weissen Inseln und einige Eisberge im Blick. Dann sind wir plötzlich wieder inmitten der unruhiger werdenden See. Man fühlt die Drake nahen. Man erinnert sich mit mulmigem Gefühl an die Hinfahrt.
Der Wind nimmt zu, das angekündigte Tief hat uns in seinen Fängen. Unsere Unterhaltungen verstummen nach und nach. Der Ire nimmt diesmal die grosszügig vom Stuttgarter offerierten Pillen in Anspruch, dazu noch Kaugummi gegen die Seekrankheit. Er sitzt fortan, meistens zusammen mit dem unerschütterlichen Pfälzer, sinnierend an der frischen Luft. Stuttgart und Texas sowie die Münchnerin sind überwiegend in ihrer Kajüte anzutreffen, und auch Kerstin und mich zieht es bei weiter auffrischendem Wind und zunehmender Wellenhöhe mehr in die Waagrechte als in den schaukelnden Salon. Dort ist es auch eher anstrengend, weil es eines unglaublichen Balanceaktes bedarf, sich bei maximaler Krängung einen Tee einzugiessen. Und wo bitte soll man die Tasse abstellen? Vom Tisch rutscht alles sofort herunter, so manches Essen landet auf dem Schoss. Wir segeln mit Sturmbesegelung, d.h. Sturmfock und mehrfach gerefftem Grosssegel. Ich teile mir die fünf Tage Drake-Passage in kleine Päckchen ein. Zuerst will ich zwei Tage und Nächte überstehen, dann den dritten Tag und wenn wir den gut hinter uns gebracht haben, ist ja schon die Hälfte überstanden und wir haben nur noch zwei Tage und Nächte. Ab der zweiten Nacht und der Wetteränderung wird es anstrengend. Wir segeln inzwischen auf Steuerbordbug recht hoch am Wind mit ständig über 40 Knoten. Der Wind soll in den nächsten Tagen nicht abflauen, und wir messen häufig 50 Knoten, teilweise in Böen deutlich darüber. Das Schiff ächzt und knarzt, legt sich gehörig auf die Seite und fliegt durch die hohen Wellen, aber vermittelt in jeder Situation absolute Ruhe und Gelassenheit. Wir haben volles Vertrauen in Sarah W. Vorwerk und ihren Skipper. Allerdings wird es immer schwieriger und härter, eine angenehme und aushaltbare Position in der Koje zu finden. Wenigstens werden Kerstin und ich bei dieser Krängung des Schiffs auf dem Steuerbordbug
nicht in die Lee-Segel gedrückt, sondern an die Bordwand, wo wir doch mehr Stabilität haben. Dafür ist das Aussteigen aus den Kojen schwieriger. Ganz zu schweigen von der Nutzung der Toilette oder dem Gang zum Salon. Durch die starke Schräglage müssen wir uns permanent festhalten, damit wir nicht durch die Gegend geschleudert werden. Es wirken Kräfte, die man sich nicht vorstellen kann und mag, wenn man es nicht selbst erlebt hat. Nachts schlagen die Wellen mit derartiger Wucht gegen die Bordwand, dass es klingt, als würden wir einen Eisberg nach dem anderen rammen. In manchen Nächten schlafen wir daher kaum. Kerstin schiebt irgendwann die Megakrise und findet, das zu tätowierende Schiff kann gar nicht gross genug sein, wenn wir die Fahrt überstehen. Irgendwann, Zeit und Raum sind längst nebensächlich und man fühlt sich irgendwo im Nirvana, schallt der Ruf "Land in Sicht", "Kap Hoorn", durch das Boot. Alle versammeln sich an Deck, als sich dichte Wolken auflösen und in einiger Entfernung den in spärliches Sonnenlicht getauchten berühmten Felsen freigeben. Eine gewisse Entspannung und Erleichterung macht sich unter der Crew breit, wissen wir nun doch, dass wir "das Schlimmste" hinter uns haben und uns ab heute wirklich "Kap Hoornier" nennen dürfen. Erste Diskussionen werden geführt, an welcher Körperstelle das Segelboot-Tattoo nach unserer Rückkehr angebracht wird. Nach weiteren Stunden zünftigen Segelns erreichen wir den Beagle-Kanal, wo uns noch einmal ein unglaublich starker Wind voll auf die Nase trifft. Kurze, hackige Wellen und Wind direkt von vorn machen uns sehr zu schaffen, und wir schalten den Motor als Unterstützung dazu. Endlich, nach insgesamt wiederum 5 anstrengenden Tagen und Nächten, erreichen wir Harberton, eine bekannte ehemalige Schaf-Farm 35 Seemeilen südlich von Ushuaia. Endlich fällt wieder der Anker in einer geschützten Bucht. Erschöpft, aber happy feiern wir die durchstandene Drake-Passage und unsere Kap Hoorn Umsegelung mit gehörig Einlaufbier und einem leckeren Abendessen.
Lieber Steffen, herzlichen Dank! Sind seit dem Wochenende wieder back home in dem ganzen Virus-Schlamassel. Da wären wir wirklich besser noch ein paar Wochen im Eis geblieben!
Gratulation - schön, dass Ihr wieder im sicheren Hafen seid! Danke für die tollen Berichte und Bilder, die Ihr vermutlich unter hohen Sat-Phone Kosten irgendwie hochgeladen habt. Am besten, Ihr bleibt noch ein paar Wochen in Feuerland - hier in Europa ist es gerade nicht amüsant.