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AutorenbildKerstin

Kap Hoorn überlebt, auf dem Vierwaldstättersee havariert

"Das ist der schönste Ankerplatz, an dem wir je lagen!"

Stephan gerät ins Schwärmen beim Anblick des schneebedeckten Pilatus unter rosaroten Abendwolken. Um dem Postkartenkitsch noch die Krone aufzusetzen, reckt ein Schwan seinen Hals neugierig über die Bordwand, um ein paar Krümel unseres Abendessens zu ergattern.

In Pandemiezeiten ruft sogar ein Wochentörn in unserem windarmen Hausrevier am Vierwaldstättersee einen euphorischen Ausbruch nach dem anderen hervor. Fühlt sich an wie Urlaub, ist Urlaub. Corona hindert uns daran, nach Kroatien oder Spanien zu reisen, aber davon profitiert unsere „Doctors‘ Breeze“, die aktuell deutlich häufiger zum Einsatz kommt als sonst.

Zum Törnstart ist erst einmal Grossreinemachen angesagt: die alljährliche Frühlingskonferenz der 300 ortsansässigen Bachstelzen hat diesmal ausgerechnet unser Schiff für ihre Zusammenkunft auserkoren und nicht nur unsere Blache, sondern auch den Süllrand mit ihren Hinterlassenschaften gründlich eingesaut. Nach etwa 2 Stunden haben wir das Gröbste beseitigt.

Wir verlassen unseren Heimathafen Buochs bei anständigem Wind und segeln smooth in Richtung Nas. Einen kurzen Augenblick lang überlegen wir, ob wir das erste Reff einbinden sollen, als die Windanzeige auf 16 Knoten steigt. Und das auf unserem See! So heftig kommt‘s dann doch nicht. Wir kreuzen bei 8-10 Knoten Wind an Vitznau und Weggis vorbei, bis schliesslich die Sündenbucht vor uns liegt, unser Ankerplatz für die folgende Nacht. Dort hat bereits eine Motoryacht festgemacht, aber der unbekleidete Eigner sucht eilig das Weite, als wir unseren Anker vorbereiten.

Nach perfektem Ankermanöver liegen wir in türkisblauem Wasser und geniessen die wärmenden Sonnenstrahlen an Deck. Leider hat der See mit 12 Grad noch keine Badetemperatur. Der antarktiserprobte Stephan hüpft natürlich trotzdem kurz rein.

Fliegenfischer und Kursschiffe kommen vorbei. Haubentaucher balzen, Blesshühner bauen Nester. Ein Pastagericht an Bord mit einem Glas Rotwein macht die Idylle perfekt. Es muss nicht immer das Mittelmeer sein!


Den kommenden Tag verbringen wir lesend und chillend vor Anker.

Bei leichtem Nieselregen verlassen wir die Sündenbucht und segeln bei Null Wind aus Ost bis West Richtung Irgendwo. Stephan ist dressed up mit weissem Hemd und hat diverse Teams-Meetings in der Kajüte, während ich in der Küssnachter Bucht rumsegle. Alles sehr beschaulich. Heute ist, wohl wegen des schlechteren Wetters, deutlich weniger Verkehr auf dem See.

Wir inspizieren die nächste Übernachtungsmöglichkeit hinter einer vorgelagerten Insel und befinden sie für geeignet. Hier planen wir später den Anker zu werfen.

Inzwischen hat sich doch nochmal die Sonne durchgekämpft. Wir wollen noch etwas in der Luzerner Bucht umherdümpeln bei wenig Wind. Ein weiteres Segelboot zieht seine Bahnen, ein Ruder-Einer spult mit Begleitboot eine Trainingseinheit ab. Sonst: nicht wirklich viel los. Ich stehe an der Pinne und steuere schliesslich unser Ziel bei der Insel an. Der Wind hat gedreht, wir müssen wieder aufkreuzen. So richtig Fahrt kriegen wir nicht drauf.


In einiger Entfernung taucht eine ziemlich grosse Motoryacht auf, die nur vor sich hin zu tuckern scheint. Das andere Segelboot hat sich Richtung Luzern verzogen. Auch das Ruderboot ist nicht mehr zu sehen. Nur wir, der See und die Motoryacht. Sie kommt näher. Langsam. Ich halte meinen Kurs, habe ja Vorfahrt. Gleich wird sie wohl abdrehen. Kein Wind mehr, wir stehen fast. „Stephan, der macht keinen Wank!“ rufe ich, inzwischen doch beunruhigt. Der andere hält auf uns zu. Ich leite das Manöver des letzten Augenblicks ein, aber wie, bei fast Null Fahrt?! Stephan brüllt sich die Seele aus dem Hals, aber das Motorboot türmt sich vor uns auf und - das Unglaubliche geschieht: die beiden einzigen Boote auf dem See schaffen es, mit einem furchterregenden Rumms zu kollidieren....

Er erwischt uns genau mittschiffs an der Backbordseite. Der Süllrand und der Rumpf sind eingedrückt, das Teak gesplittert, die Relingsstützen umgeknickt. Nach Wassereinbruch sieht es nicht aus, zum Glück.

Wir sind alle drei völlig geschockt und erstmal sprachlos. Der Motorbötler versichert, so etwas sei ihm in 20 Jahren auf dem See noch nie passiert. Gibt aber zu, dass er am Handy war und den Autopilot eingeschaltet hatte...

Wir lassen ihn ein Unfallprotokoll unterschreiben und wickeln das Ganze ohne Polizei ab, obwohl die gerade des Weges kommt.


Wir bringen unser armes Schiff zittrig in die nahegelegene SNG-Werft, wo wir freundlich und mitfühlend empfangen werden. Die Doctors‘ Breeze wird provisorisch verarztet und soll am nächsten Tag ausgekrant und in die Halle verholt werden. Alles weitere regelt die gegnerische Versicherung (hoffentlich), da die Schuldfrage ja eindeutig ist.

Also endet unser Urlaubstörn auf dem Vierwaldstättersee jäh mit einer Taxifahrt zurück nach Buochs.

So etwas haben wir Kap-Horniers uns dann doch nie träumen lassen!








147 Ansichten4 Kommentare

4 Comments


Axel Augspurger
Axel Augspurger
May 09, 2021

Gottseidank ist Euch nichts passiert! Das Schiffle wird sicher wieder heile. Vielleicht muss ab jetzt auch auf Binnerevieren mit AIS und Radar gefahren werden. Wieso klappt Kroatien nicht? Stephan war doch schon im Frühjahr unten! Hat die Schweiz die Regeln angezogen? Ganz liebe Grüße und gute Besserung für “Doctorsˋ Breeze“


Bis bald Axel

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Stephan
Stephan
May 09, 2021
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Lieber Axel, ja, AIS und Radar aud dem Vierwaldstätter See - das wärs! Leider ist Kroatien in der Schweiz auf der Risikoliste, was Quarantäne bei Rückkehr bedeutet.... aber bald sind wir geimpft, dann gelten anderer Zeiten!

Liebe Grüsse

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19hwi39
19hwi39
May 08, 2021

Übrigens, wieder ein toller Bericht von Kerstin.

Abi

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19hwi39
19hwi39
May 08, 2021

Shit happens, kann man da nur sagen, zwei Boote alleine auf dem See stossen zusammen, unglaubliches Pech für beide Skipper!

Abi

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