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AutorenbildKerstin

Plädoyer für einen Wintertörn

Unvergessen ist die Begegnung mit einem Kollegen am Bahnhof Stans Ende Januar 2020. Er mit Aktentasche unterwegs zu einer Fachtagung, wir riesige Seesäcke schleppend, in Jacken eingemummelt, die sichtlich für hohe Breiten tauglich erschienen, ebenso wie unsere dicken Winterboots an den Füssen. Seine erstaunte Frage, ob wir zu einer Expedition aufbrächen, konnten wir wahrheitsgemäss nur mit ja beantworten. Wir erklärten, dass wir im Sinn hätten, von Argentinien in die Antarktis zu segeln! (Dieser Blog ist, treue Leser*innen wissen das, damals entstanden). Daraufhin er, geradezu fassungslos:"Segeln? Darunter habe ich mir bis jetzt vorgestellt, barfuss in der Badehose mit einem Bier in der Hand an Deck zu chillen?!"

Nichts gegen eine Segelpartie bei badehosentauglichem Wetter, auch wenn es bei uns das Bier natürlich erst nach dem Anlegen gibt. Aber in Zeiten, in denen das Mittelmeer, insbesondere die kroatischen Gefilde, von April bis Oktober zunehmend von Charterarmadas bevölkert wird und die Plätze in den Bojenfeldern heiss umkämpft sind, schätzen wir immer mehr die off-season-Ausfahrten.

Seit unsere Ruby in Cres liegt, durfte sie auch in den Wintermonaten regelmässig mit uns auslaufen. Sei es bei Sturmtrainings, die Stephan mit Teilnehmern seiner Segelkurse im englischen Solent durchgeführt hat, sei es, um die Beschaulichkeit der Nebensaison zu geniessen.

Ruby verfügt über eine perfekt funktionierende Heizung, die den Schiffsbauch winters in eine gemütliche Höhle verwandelt. Seit dem kleinen Refit vom letzten Jahr können wir sogar mit warmem Wasser duschen (allerdings nur, wenn der Motor lange genug in Betrieb war). Und für die zugegebenermassen kühlen Nächte leisten unsere Polarschlafsäcke gute Dienste.

Tagsüber, zumindest bei Sonnenschein, konnten wir bislang immer mindestens eine Mahlzeit an Deck einnehmen. Zum Segeln braucht es natürlich hochseetaugliches Ölzeug, Merinounterwäsche etc. Aber sind Skifahrer nicht auch immer dick eingepackt beim Ausüben ihres Sportes?

Anders als im Sommer planen wir, vollkommen autark zu sein. Das bedeutet, die Kombüse kommt täglich zum Einsatz, denn in unserer nordkroatischen Inselwelt haben die meisten Restaurants im Winter geschlossen. Nicht bewirtschaftet sind allerdings auch die Bojenfelder, so dass man überall gratis liegen kann. Und zwar als einziges Schiff weit und breit! Offenbar ist das Faible fürs Wintersegeln nicht bei allzu vielen Boaties besonders ausgeprägt. Das heisst: man bekommt automatisch immer den Wunsch-Ankerplatz, egal, wann man in der Bucht eintrifft. Man hat freie Sicht auf die umliegende Inselwelt, weil einem keine Riesen-Motoryacht vor die Nase fährt. Niemand stört die Ruhe durch Umherdüsen auf mitgebrachten Jetskis. Es gibt weit und breit keine Chartercrew, die nach riskantem Ankermanöver bis in den frühen Morgen Party feiert.

Kurz: man kann den ganzen Tag ungestört sitzen und gucken! (Auch dazu gibt es bereits einen Blogbeitrag). Es ist vollkommen still. Oder doch nicht? Im Hintergrund plätschern die Wellen ans Ufer. Möwen stossen Schreie aus, die irgendwo zwischen Babygeplärre und rolliger Katze anzusiedeln sind. Etwas platscht auf dem Wasser. Ein tauchender Kormoran? Nach Insekten schnappende Fische? Vereinzelt, ganz selten, nähert sich Motorengeräusch: Ein Fischer kehrt mit seinem Fang zurück. Klägliches Blöken an Land, darauf mit tieferer Stimme die beruhigende Antwort: ein Lämmchen ruft nach seiner Mutter.

Am frühen Morgen, wenn das Wasser noch spiegelglatt ist und die Sonne den Tau an Deck zu trocknen beginnt, erhascht man manchmal einen Glücksmoment. Rhythmische Schnaufgeräusche verraten, dass Delfine in die Bucht schwimmen. In eleganten Bögen umkreisen sie das Schiff, vielleicht auf der Suche nach Frühstück, vielleicht auch nur, um sich an der Wasseroberfläche von den Sonnenstrahlen wärmen zu lassen. Wer weiss schon, was so einen Meeressäuger umtreibt.

Seit gestern sind wir nun wieder mit Ruby unterwegs im Kvarner. Auch beim 745. Mal ist es nie langweilig. Das Ziel bestimmt der Wind, und da wir jede Bucht kennen, brauchen wir auch keine exakte Törnplanung zu machen. So passierte es tatsächlich fast, dass wir gestern bei passenden Winden nach Istrien gesegelt wären! Der Vorschlag kam überraschenderweise von mir, obwohl ich Istrien eigentlich blöd finde (kein klares Wasser, viel Trubel). Aber bei schönem Halbwind bot sich die Medullin-Bucht als Tagesziel an. Nach einer Stunde vergnüglichen Segelns stellte allerdings der Wind ab. Alternativen: nach Medullin motoren (13 sm), nach Ustrine auf Cres motoren (13 sm) oder Richtung Unije motoren, um ab Zeča den 14-Uhr-Blas mitzunehmen und eventuell doch noch segeln zu können. Die Entscheidung fiel auf Letzteres. Fast war ich ein wenig erleichtert, nicht nach Istrien zu müssen. Was war eigentlich in mich gefahren? (Randnotiz: Stephan würde gern mal nach Istrien, ich normalerweise nie).

Windy sei Dank frischte auf Höhe Zeča der Nordost auf 10 kn auf, und wir hatten besten Segelspass bis nachmittags um 4, als wir in der nördlichen Unije-Bucht den Anker fallen liessen. Ein Gläsle Weisswein an Deck in der Abendsonne machte den Tag perfekt. Sitzen und gucken, siehe oben.

Nach Sonnenuntergang sanken die Aussentemperaturen auf unter Wohlfühllevel, so dass der Abend im Salon ausklang mit reichlich Lektüre, heissem Tee und Knabberzeug.

Ganz ehrlich: der einzige Vorteil vom Badehosensegeln ist, dass man zwischendurch mal ins Wasser hüpfen kann. Alles andere: pro Winter!

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