top of page
AutorenbildKerstin

Westwind

Schon im letzten Sommer hatte Ruby Startprobleme. Beim Drücken des Anlasserknopfes gab sie oft nur ein müdes Klicken von sich. Es bedurfte des sensiblen Fingerchens von Kerstin oder Cora, um den Motor zum Starten zu bewegen, und dies meist erst beim x-ten Versuch. Der Mechaniker unseres Vertrauens wurde involviert, kam aber zu keiner klaren Diagnose. Wir müssten halt 10x drücken, dann würde der Motor schon irgendwann anspringen. Das tat er bislang auch, aber uns war das nicht ganz geheuer. In einer Notfallsituation oder beim Ankermanöver wollen wir nicht 10x drücken und hoffen, dass es klappt. Unsere Selbstdiagnosen reichten von defektem Starterpaneel (kennt Stephan von seinen Sturmtrainings im Solent) über ausgelutschte Starterbatterie (kann eigentlich nicht sein, da neu Ende 2022) bis hin zu kaputtem Anlasser. Bevor es auf Augusttörn geht, muss also nochmals der Mechaniker involviert werden. Diesmal nicht der unseres Vertrauens, denn der arbeitet leider nicht mehr in der Marina. Sondern der Neue, der unser Vertrauen erstmal verdienen muss. Man hört bislang nicht nur Positives über ihn, aber wir beschliessen, ihm ganz unvoreingenommen zu begegnen. Er kündigt sich an für Samstag 9 Uhr. Erscheinen tut er um 1, aber das kennen wir schon von diversen anderen Handwerkern unseres Vertrauens. Wahrscheinlich war ein guter Morgen, um im Garten die Bäume zu schneiden. Er drückt Rubys Starterknopf, und sie macht "klick". Er murmelt etwas und steckt seinen Kopf in die Tiefen des Motorraums. Verlangt nach einem Hammer. Hämmert irgendwo drauf und fordert uns auf, den Motor zu starten. Ich drücke den Knopf, und Ruby beginnt zu schnurren. Na also! Nein, sagt der Mechaniker auf kroatisch-italienisch, nicht gut, wird seeeehr teuer. Wir brauchen einen neuen Anlasser. Für die Details kommt der Chef persönlich vorbei, der englisch spricht. Er könne einen Anlasser bestellen, der in 2 Tagen geliefert und tags drauf eingebaut werden könnte. Kostenpunkt: 1500€! Stephan befragt parallel das Internet und Segelguru Martin. Beide sagen, alles über 300€ sei Halsabschneiderei. Der unser Vertrauen soeben verspielende Chefmechaniker beteuert, es handle sich um ein Volvo-Originalteil, dass im Gegensatz zu dem chinesischen Billigschrott aus dem Internet 20 Jahre halte. Stephan konfrontiert ihn mit Google: Original Volvo Anlasser für 800€, vorrätig in Nerezine 30 km von hier. Ende vom Lied: ok, letztes Angebot 750€. Nachspiel vom Lied: geliefert wurde ein Nachbau, kein Originalteil. Vertrauen: kein Kommentar.

Immerhin startet und läuft der Motor nach dem Einbau des Ersatzteils einwandfrei. Wir möchten einen kleinen Sommertörn machen und planen die Charterarmada auszutricksen und antizyklisch unterwegs zu sein. So haben wir Chancen auf nicht allzu überfüllte Ankerplätze. Die Idee ist, montags am späten Nachmittag in unsere geliebte Leuchtturmbucht zu tuckern (Prognose: Flaute und 35 Grad), dort zu übernachten und tags darauf weiter nach Süden zu segeln. Stegnachbarin Tina versorgt uns noch mit Salz, das wir beim Einkauf vergessen haben, und gegen 16 Uhr legen wir ab.

Schon bei der Einfahrt in die Bucht von Valun trocknet eine frische Brise unseren Schweiss. Wieso haben wir Wind? Darauf sind wir gar nicht vorbereitet! Ich stehe barfuss im Bikini am Ruder, als Stephan das Kommando zum Setzen des Grosssegels gibt. Brav dreht Ruby die Nase in den Wind, und das Segel ist zügig hochgewinscht. Wir rechnen damit, eine kleine Düse in der Bucht vor Cres erwischt zu haben, aber der Wind nimmt eher zu. Stephan lässt daher ein Reff in der Genua, und ich schlüpfe wenigstens in meine Crocs, um festeren Stand hinter dem Steuerrad zu haben. Und dann: Schaumkronen! Ich kann Ruby auf hartem Amwindkurs kaum noch halten. Stephan steht schon am Mast, um das erste Reff einzubinden. Inzwischen zeigt der Windmesser konstante 18 kn Westwind an. Mach Reff 2 rein, schreie ich gegen den Wind. Stephan sortiert alle Reffleinen und verkleinert die Segelfläche angemessen, so dass wir mit einem Heidenspass Richtung Leuchtturmbucht aufkreuzen können. Ruby liegt ordentlich auf der Backe und duscht sich mit Salzwasser ab, und wir geniessen es sehr, dass unsere Wind-Apps mal wieder einen vom Pferd erzählt haben.

Die Ankerbucht teilen wir uns nur mit zwei kleinen Motorböötlern. Der Sonnenuntergang ist perfekt, das Wasser warm, der schnell zusammengeschnippelte Salat köstlich. So darf es weitergehen.


32 Ansichten0 Kommentare

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

Italien verfolgt uns

Commentaires


Beitrag: Blog2_Post
bottom of page